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Netphen - Deuz

Die erste Motoromnibuslinie der Welt fuhr im Siegerland
Siegen – Netphen – Deuz

Betriebsaufnahme vor 125 Jahren

Auf seinem Absenderfreistempel wirbt der Kreis Siegen-Wittgenstein aktuell
für das Motorbus-Jubiläum. Das Signet zeigt einen historischen Motorbus
neben einem Fahrzeug der Zukunft, das – die ausgestrahlten Wellen sollen
dies symbolisieren – automatisch seinen Weg findet.

Öffentlicher Personennahverkehr ist heute nichts Besonderes mehr. Das sah vor 125 Jahren noch ganz anders aus. Gerade in schlecht erschlossenen Regionen auf dem Land wie auch dem südwestfälischen Netpherland, wo die Postkutsche nur morgens nach Siegen und abends wieder zurück fuhr, gab es nur Pferdekutschen als Alternative zum sonst fälligen Fußmarsch in die nächstgelegene größere Stadt. Zwar war das mit Benzin betriebene Automobil bereits erfunden, aber der Omnibus als – wie das lateinische Wort schon verspricht – Massenbeförderungsmittel „für alle“ steckte noch in den Kinderschuhen.

Die Stadt Siegen war schon seit 1861 an das Eisenbahnnetz angeschlossen. Eine in einer Denkschrift 1884 geforderte „normalspurige Secundärbahn“ durch das Amt Netphen wurde vom preußischen Staat aber abgelehnt. Nun musste, zumindest als Zwischenlösung für eine Übergangszeit bis zum Bau der ersehnten Eisenbahnstrecke, eine Alternative für die Personenbeförderung im Netpherland gefunden werden. Durch die Initiative von weitsichtigen und mutigen Geschäftsleuten nahm die Entwicklung des Omnibusses anschließend im wahrsten Sinne des Wortes Fahrt auf.

Für den Personenverkehr auf der Straße erschien ihnen die Entwicklung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor vielversprechend, wie sie zum Beispiel von Carl Benz in Mannheim vorangetrieben wurde. Sein geschlossener Kutschenwagen, bei dem sich der Fahrersitz über der Vorderachse befand, war eine Weiterentwicklung des Benz-Patent-Motorwagens Victoria von 1894 mit einem geschlossenen sechssitzigen Aufbau. Wie bei einem Landauer saßen sich die Passagiere in zwei Reihen gegenüber. Der siebte Fahrgast saß draußen neben dem Fahrer.

Das Bild des ersten Motoromnibusses der Welt wurde wahrscheinlich als
Werksfoto in Mannheim aufgenommen, während sich der

am Steuer posierende zukünftige Omnibusfahrer Karl Otto aus Nauholz im Netpherland dort
zur Schulung aufhielt (Abb.: Sammlung Heimatverein Netpherland).

Im November 1894 entschloss man sich, eine Benzinmotor-Omnibusverbindung von Siegen über Netphen nach Deuz (nicht zu verwechseln mit Deutz damals bei, heute in Köln) ins Leben zu rufen und gründete am 7. Dezember 1894 als Genossenschaft mit beschränkter Haftung die Netphener Omnibus Gesellschaft mit dem Gerbereibesitzer August Hüttenhain aus Niedernetphen als Vorsitzendem. Nur wenige Tage später bestellten die Pioniere für 6000 Mark bei der Firma „Benz & Cie.“ in Mannheim einen Omnibus vom Typ Landauer mit einem liegenden Einzylinder-5-PS-Viertaktmotor (Hubraum 2650 Kubikzentimeter) im Heck und 20 Kilometern pro Stunde Höchstgeschwindigkeit. Der Omnibus hatte ein Leergewicht von 1200 Kilogramm, eine Spurweite von 1,40 Metern und einen Achsabstand von 2,02 Metern. Er war 3,4 Meter lang, 1,8 Meter breit, 2,5 Meter hoch und verfügte über eine Heizung.

Am 16. März 1895 wurde der Fahrplan der Netphener Omnibus-Gesellschaft
in der Siegener Zeitung veröffentlicht. Die Fahrpreise lagen deutlich höher
als heute, berücksichtigt man die Kaufkraft, die zehn bis 70 Pfennig
seinerzeit hatten (Abb.: Stadtarchiv Siegen).

Mit diesem Omnibus wurde schließlich am 18. März 1895 die weltweit erste Motoromnibuslinie zwischen der Stadt Siegen und den Ortschaften Netphen und Deuz eröffnet. Um 6 Uhr morgens in Netphen losgefahren, startete der Omnibus um 6.25 Uhr fahrplanmäßig in Deuz am Gasthaus von Heinrich Theodor Klein zu seiner ersten offiziellen Linienfahrt. Vor Gastwirtschaften befanden sich auch fast alle weiteren Haltepunkte bis zur Endstation in Siegen. Karl Otto aus Nauholz lenkte den Omnibus über die holprigen Straßen. Das Benzin wurde damals noch in der Apotheke gekauft. Rund eine Stunde und 20 Minuten sollte für die Fahrgäste die 15 Kilometer lange Fahrt in dem Omnibus dauern. Viermal am Tag fuhr der Omnibus die Strecke hin und wieder zurück, bis er abends um 20.55 Uhr in Netphen sein Nachtquartier erreichte. 80 Höhenmeter musste das Fahrzeug dabei im Siegtal bewältigen.

 

Der Sonderstempel aus Anlass der Verkehrs-Festtage 1970 in Netphen war der erste Netphener Sonderstempel überhaupt.

Ein Vergnügen war die für die gesamte Strecke 70 Pfennig teure Überlandfahrt wahrlich nicht. Auf den damals noch sehr schlechten Straßen sprangen die grazilen Vollgummireifen häufig von den Felgen ab. Also wechselte man auf die harten und breiteren Eisenreifen. Diese Umrüstung verbesserte zwar das Laufverhalten, führte aber zu einer starken Beeinträchtigung der Straßenhaftung. Bei Regen waren manche Anhöhen nur durch die kräftige Mithilfe der zum Anschieben gezwungenen Fahrgäste zu bewältigen. Kam ein Pferdefuhrwerk oder die Postkutsche entgegen, musste der Motor abgestellt werden, um zu verhindern, dass die Pferde scheuten.

10.600 Fahrgäste befördert

Nach dem ersten Ansturm und der Inbetriebnahme eines zweiten Motoromnibusses am 1. Juli 1895 war nach zahlreichen Pannen, technischen Schwierigkeiten und Verzögerungen bei der Ersatzteilbeschaffung und den daraus resultierenden häufigen Betriebsstörungen in Gestalt von Verspätungen und Totalausfällen das zwischenzeitlich von 7000 auf 12 500 Mark erhöhte Genossenschaftskapital schon bald verbraucht. Obwohl bis Mitte Oktober 1895 immerhin 10 600 Fahrgäste befördert worden waren, stellte die weltweit erste Motoromnibuslinie ihren Betrieb zunächst vom 3. November 1895 an nur zwischen Netphen und Deuz und dann am 20. Dezember 1895 vollständig und endgültig wieder ein. Die Genossenschaft wurde aufgelöst und beide Fahrzeuge wurden anschließend vom Hersteller zurückgekauft. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts mehr bekannt.

Der Absenderfreistempel des Kreises Siegen-Wittgenstein und der
Handwerbestempel „Hundert Jahre Motor-Omnibus“ aus Siegen mit dem
Datum vom 18. März 1995.

Statt des „Pferde scheu machenden Stinkwagens“ beherrschte nun für die nächsten elf Jahre wieder alleine der Hafermotor das Verkehrswesen im Netpherland, bis am 1. Dezember 1906 die Kleinbahnstrecke Weidenau – Deuz in Betrieb genommen wurde. An diesem Tag endete gleichzeitig das Zeitalter der Postkutsche im Netpherland. An die nach nur neun Monaten bereits im Eröffnungsjahr 1895 wieder beendete Episode der ersten Motoromnibuslinie der Welt erinnert noch heute ein 1970 fertiggestellter Nachbau dieses Ur-Vaters aller Motoromnibusse. Eduard Ley, der im Oktober 1969 schon die Gründung des Vereins der Briefmarkenfreunde Netphen e. V. initiiert hatte und erster Vorsitzender des neuen Vereins geworden war, hatte auch die „Arbeitsgruppe Omnibus 1895“ ins Leben gerufen, um den 75. Jahrestag dieses Ereignisses würdig zu feiern.

Die Universitätsstadt Siegen verklebt auf der ausgehenden Post, die mit
dem Post Service Siegerland versandt wird, ein Etikett, welches das Signet
zum aktuellen Motorbus-Jubiläum zeigt.

Von der Deuzer Firma „Walzen Irle GmbH“, die 1970 gleichzeitig das 150-jährige Bestehen des Unternehmens feiern konnte, wurde der Nachbau des Motoromnibusses realisiert. Denn mit dem Deuzer Walzenfabrikanten Otto Irle gehörte einer der Firmenväter mit zu den Gesellschaftern der weltweit ersten Motoromnibuslinie von 1895. Nur auf der Basis eines alten Fotos wurden das Fahrgestell des Nachbaus in der Schlosserei der Firma zusammengeschweißt und der hölzerne Aufbau in der Werksschreinerei angefertigt. Der 24-PS-Motor eines VW Käfers sorgte für eine deutlich stärkere Motorisierung als 1895 beim Originalfahrzeug.
Am 30. Juni 1970 erfolgte auf dem Firmengelände die TÜV-Prüfung für das grünschwarz lackierte Fahrzeug mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von sechs Kilometern pro Stunde. Der Motoromnibusnachbau durfte also am letzten der Verkehrsfesttage vom 3. bis 5. Juli 1970 anlässlich des 75-jährigen Jubiläums der Motoromnibuslinie bei strömendem Regen vor sich hin knatternd im Festzug mitfahren. Der Motoromnibus zierte damals auch den ersten Netphener Sonderstempel der Deutschen Bundespost.
25 Jahre später führte der Nachbau während der 100-Jahr-Feier vom 17. bis 19. März 1995 die aus fast 100 Omnibussen bestehende Fahrzeugschlange an. Das Fahrzeug wurde gerne für Brautpaare als Hochzeitskutsche gemietet und immer wieder auch bei Großveranstaltungen wie dem NRW-Tag 2010 in Siegen oder der 775-Jahr-Feier von Netphen im Jahr 2014 als Hingucker eingesetzt.

Der Absenderfreistempel „1. Motor-Omnibus 1895“ der Gemeinde Netphen zum 100-jährigen Jubiläum in 1995
enthielt anfangs tagelang die fehlerhafte Schreibweise „Nephten“ in der Beschriftung auf dem Dach des
Omnibusses (Werbeklischee links), die dann später korrigiert wurde (rechts).

In Netphen-Deuz lässt sich seit dem 8. November 2016 in einem eigens dafür als „Glasgarage“ errichteten Ausstellungspavillon dieser Nachbau besichtigen, der hierfür von der Firma Walzen Irle GmbH als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt wurde. Der Nachbau zeugt vom historischen Pioniergeist und unternehmerischen Wagemut im Jahr 1895 sowie dem Beginn des Reisens mit Motoromnibussen. Inzwischen kündigt sich schon der nächste große Auftritt des Motoromnibus-Nachbaus an. Vom 20. bis 22. März 2020 wird der 125. Jahrestag der ersten Motoromnibuslinie der Welt gebührend gefeiert. Hierfür planen die Städte Netphen und Siegen zusammen mit dem Kreis Siegen-Wittgenstein nicht nur einen angemessenen Festakt, sondern wie bereits zum 100-jährigen Jubiläum auch einen Omnibus-Korso auf der historischen Strecke, an dem nunmehr aber möglichst 125 Fahrzeuge teilnehmen sollen. 1995 säumten geschätzte 80 000 bis 100 000 Besucher die 15 Kilometer lange Strecke von Netphen-Deuz nach Siegen-Weidenau. Mit dieser Besucherzahl wird auch für die bevorstehende Jubiläumsveranstaltung kalkuliert.

 

Das Festprogramm für das Jubiläumswochenende ist einsehbar unter: www.omnibus125.de
Bilder und Text wurden von Herrn Wilfried Lerchstein für diese Webseite zur Verfügung festellt. Vielen Dank. Den Inhalt dieser Seite können Sie auch als PDF herunterladen.

Literaturtipp
Dieser Aufsatz basiert auf dem Artikel „Der erste Motoromnibus der Welt und sein Nachbau in Deuz“ des Autors, veröffentlicht in: „Blick ins Netpherland“, Heft Nr. 61, Jahresausgabe 2019 des Heimatvereins Netpherland e. V., Seiten 41 bis 50.